by Michael Goldschmidt Text & Fotos, Ulrike Goldschmidt Fotos 3.05
„Auf meinem Boot gibt es kein Blei!“ Im barschen Ton eines Unteroffiziers, der jeden Ansatz von Widerspruch bei amerikanischen Gästen bereits im Keim
erstickt, quittiert Andy vom Tauchshop “Plantation Inn Manatee Tours” meinen harmlosen Wunsch den Auftrieb meines 5 mm Neoprananzug zu kompensieren um entspannt fotografieren zu können. Im Bürger des alten
Europa weckt diese Art undemokratischer Kommunikation den Wunsch zur ruhigen Erläuterung der Sachlage, unterstützt mit etwas Blei käme ich auch als schnorchelnder Fotograf in gute Aufnahmepositionen und ich sei nicht
zum Spass und für Familienalbumbilder 8000 km weit an den Crystal River angereist. Doch der konstruktive Einwand stachelt Andy nur zu einem Monolog auswendig gelernter Phrasen an, die mich als friedliebenden Europäer
zur Weisheit führen, dass der Klügere zumindest in diesem Fall nachgibt...
James Powell gilt als einer der besten Kenner der Manatees in Florida, seine ersten Kontakte hatte er in den 50er Jahren des
vergangenen Jahrhunderts, als man der bis dato immer noch sagenumwobenen Spezies aus Furcht respektvoll aus dem Weg ging und Kontakte eher als schlechtes Zeichen denn als kleine Sensation im positiven Sinne bewertete.
Ob als Manatee mit flacher, halbrunder Flosse in den Gewässern Mittel- und Südamerikas oder als Dugong mit delfinähnlicher Fluke zwischen Rotem Meer und Australien beheimatet, salopp auch als Seekuh bezeichnet, strahlen
diese Tiere seit bald drei Jahrzehnten eine ungebrochene Anziehungskraft auf Schnorchler und Taucher aus. So zögerlich die Annäherung der Menschen an die als Sirenen der Odysseus – Sagen verkannten Säuger im 20.
Jahrhundert stattfand, umso stärker wird heute ihre Anwesenheit dort vermarktet, wo man mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Zusammentreffen zwischen Mensch und Tier arrangieren kann. Kaum zu glauben, wie James Powell in
seinem Buch „Manatees“ seinen ersten heldenhaften Versuch beschreibt 1967 als Jugendlicher im Crystal River mit ABC – Ausrüstung einem der friedlichen Riesen im und unter Wasser zu begegnen: „In einem
flachen Boot hatte ich mich vorsichtig an ein Tier angenähert. Jeden Laut vermeidend zog ich Maske und Flossen an und glitt lautlos ins Wasser, ließ mich zu dem abgetauchten Manatee treiben. Dieser hob seinen Kopf aus
dem Wasser um zu atmen und prustete dann seinen Atem vermischt mit Wasser in meine Richtung. So rasch wie nie zuvor schwamm ich zum Boot und beendete sofort dieses Abenteuer.“ –
Bei deutschen
Tauchsportreiseunternehmen sucht man in den Katalogen noch vergebens nach speziellen Offerten, den Manatees in Florida einen Besuch abzustatten. Seekühe pauschal gibt es nicht, vielleicht auch, weil dieses Highlight
nicht gerade als wochenfüllendes Ereignis vermarktet werden kann. Einmal Manateeschnorcheln und zurück, dafür ist die Anreise, die entweder nach Orlando oder Miami erfolgt, zu lang. Es gäbe aber durchaus Kombinationen
mit Tauchgängen weiter südlich, von den Keys ausgehend, etwa von Key Largo, um im John Pennekemp UW - Park einen Vorgeschmack auf Karibik und Wracktauchgänge serviert zu bekommen. Der Dollar steht zurzeit so
günstig wie nie, dass man als Veranstalter durchaus über solche Reisepakete nachdenken könnte. Aktuell ist aber individuelles Buchen angesagt und mit Hilfe des Internet kann man Flüge, Hotelaufenthalte, Leihwagen und
Manatee - Exkursionen bequem vom Bildschirm aus organisieren.
Wie es sich für die Redaktion eines Onlinemagazins gehört, wurden die Flüge nach Orlando bei einem Onlineanbieter gebucht - zunächst von München aus
mit Lufthansa im völlig ausgebuchten Airbus A 340 nach Charlotte in Nordcarolina, dann mit US-Airways weiter nach Orlando. Als Tipp: Ordern Sie nicht gleich das erste Angebot, das Ihnen online unterbreitet wird,
vergleichen Sie in Ruhe, denn es können sich interessante Unterschiede ergeben – zu Ihrem Vor- oder Nachteil! Und noch ein Hinweis, gestatten sie sich realistischen Zeiträume für das Umsteigen. Weniger als zwei
Stunden können bei Interkontinentalflügen nicht empfohlen werden, da bereits kleine Verspätungen beim Abflug, anschießende Pass- und Visaformalitäten, eventuelle Entgegennahme und Weiterleitung des Reisegepäcks sowie
der Weg zum Gate des Weiterflugs zu kurze Umsteigezeiten zum Horrortrip machen können. Und vergessen Sie nicht die strengen Sicherheitskontrollen, die ihrerseits Zeit beanspruchen.
Ab Orlando geht es dann mit dem
Leihwagen westwärts, etwa 150 km bei moderater Reisegeschwindigkeit bis Crystal River. Hier befindet man sich bereits nahe Floridas Küste auf der Seite des Golfs von Mexiko. Wer die USA noch nie bereiste, der stelle
sich den Ort als weitläufiges Areal mit Flachbauten vor, mit Fastfoodoasen, Restaurants, Motels, Hotels, Einkaufszentren, Tankstellen und Tauchshops, durchschnitten von mehrspurigen Straßen, die sich in der Regel im
rechten Winkel treffen. Nicht so ganz in dieses geradlinige Landschaftsbild passt der Crystal River, ein weitläufiges Flussareal, das von warmen Süßwasserquellen gespeist wird, deltaartige Wasserflächen ausbildet mit
Inseln darin, an dessen Ufern die schönsten Wohnlagen der Gegend zu finden sind und in dem die einst furchterregenden Manatees ihr tourismusförderndes Leben verbringen. Ehrlich gesagt, ohne die Manatees gäbe es hier 90%
weniger Gäste und die damit zusammenhängende Infrastruktur wäre nicht vorhanden. Crystal River schliefe noch den Schlaf der Gerechten in der floridianischen Provinz der Südstaaten.
Die Manatees sind hier
überall Präsent, über und unter Wasser. Entlang der Hauptstraßen findet man eine große Zahl von Tauchshops, die Manateetauchen anbieten – als geführte oder als individuelle Touren.
Wer sich zutraut eines der
flachen Metallboote selbständig durch die trägen Flussarme zu steuern, ein wenig Erfahrung mit der Bedienung von Außenbordmotoren wäre kein Nachteil, kann in eigener Regie auf die Pirsch gehen. Vor 15 Jahren machten wir
das bereits auf diese Weise, benötigten aber zwei Tage um endlich in Kontakt mit den sanften Riesen zu kommen. Diesmal wählten wir den Anbieter Plantation Inn Manatee Tours (firmiert auch als Crystal River Divers),
dessen Manateetouren im Package mit einer Übernachtung im Hotel Plantation Inn zu buchen sind. Die Tauchbasis befindet sich auf dem Gelände des Hotels, eine ideale Kombination, denn man trifft sich bereits um 7:30 Uhr
um Ausrüstung zu übernehmen oder um von Andy, Kapitän und Guide unserer Tour angebellt zu werden...
An diesem ungewöhnlich kühlen Tag in Florida, es ist Anfang März, der Himmel ist grau verhangen doch das Wasser
hat seine konstanten 22° C, wird sich zum ersten Mal der Vorteil von zwei Speicherkarten in unserer Redaktionskamera Olympus C 8080 im Olympus UW-Gehäuse zeigen, denn es warten Motive ohne Ende auf uns. Es sind nur 6
Gäste angemeldet, wer noch Equipment benötigt ist schnell ausgestattet, dann erwartet die Gruppe ein Pflichtvideo, in dem die Lebensräume der Manatees und die Verhaltensweisen für Schnorchler in einfacher Sprache und
mehrfach wiederholt aufgezeigt werden. Viele der gezeigten Schnorchler hatten Blei am Leib...
Unsere US – Korrespondentin Gaby Douglas und ihr Mann begleiten uns, fast heißt dies Eulen nach Athen tragen, denn
nahe ihres Hause an der Ostküste Floridas leben auch Manatees, die sie manchmal – illegal – besuchen und mit Salat füttern. Aber das Wasser dort am Banana – River ist trüb und es ist von Seiten der
Naturschutzbehörden verboten dort mit den Tieren in Kontakt zu treten – aus Schutzerwägung.
Endlich sind wir an Bord des großräumigen flachen Bootes, mit an Bord Kaffee, Tee und heiße Schokolade. Sachte und
langsam manövriert Andy an der Rückseite unseres Hotels vorbei, dessen parkähnlicher Garten bis ans Wasser reicht. In diesem Gebiet darf man nur mit sehr reduzierter Geschwindigkeit fahren, um die oft knapp unter der
Wasseroberfläche treibenden Tiere nicht mit der Schraube zu verletzten. Obwohl in den letzten 15 Jahren das Bewusstsein für die Gefährdung der „gentle Giants“ durch Boote wesentlich gestärkt wurde, steht noch
immer hinter 25% der Todesfälle die Verletzung durch eine Schiffsschraube und anschließend die Infektion der Wunde. Die typischen Verletzungsmuster finden wir dann auch aktuell noch bei einer Reihe von Tieren.
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