by Christian Redl 07.09
|
|
|
|
|
Freitauchen – ein Sport für Extremisten oder für Jedermann...?
Das wirklich jeder das Freitauchen und die Inhalte eines Kurses für sich nutzen
kann, zeigte sich kürzlich bei einem Seminar der Tauchschule Aquatica Scuba Diving in Schloß Holte-Stukenbrock (D) mit Christian Redl im Juni 2009
Christian Redl ist seit mehr als 10 Jahren Freitaucher
– seit langer Zeit gehört er zu den bekanntesten Apnoesportlern der Welt und macht mit Aufsehen erregenden Weltrekorden Schlagzeilen. Zu seinen Freitauchseminaren melden sich hauptsächlich tauchsportbegeisterte
Personen an – und zwar aus verschiedenen Beweggründen. Fitness, Reduzierung des Luftverbrauches beim Gerätetauchen oder allgemein die Leistungssteigerung durch die richtige Atemtechnik gehören dazu.
Als
Christian Redl im Juni 2009 zu Gast in Oerlinghausen / Schloß Holte-Stukenbrock (D) war, ahnte er noch nichts von einer neuen Erfahrung als Freitauchlehrer. Thomas Jurkschat – Initiator und Organisator des Events
machte Christian darauf aufmerksam, dass auch ein Taucher mit körperlicher Behinderung am Seminar teilnehmen möchte. Der Kursplan wurde so ausgelegt, dass genügend Pausen zwischen den Wasserlektionen lagen, um ein
entspanntes Umziehen zu ermöglichen.
Auf die Frage, warum gerade er an diesem Kurs teilnehmen möchte, antwortete Matthias Klei (39 Jahre): „ Ich möchte mein Wissen erweitern – außerdem interessiert es
mich, ob Freitauchen auch etwas für Menschen mit Behinderung ist!“ Matthias kam durch Zufall vor rd. 18 Monaten mit der Tauchschule Aquatica Scuba Diving in Kontakt. Eine Besucherin des Hallenbades gab ihm den
Hinweis, dass hier Tauchen unterrichtet wird. Seitdem geht Matthias mit Ines und Thomas Jurkschat regelmäßig auf Tauchstation. Als der Tauchclub Aquatica e.V. gegründet wurde, gehörte Matthias von Anfang an dazu. „Hier
fühle ich mich wohl – ich bin hier voll integriert und nehme an vielen Veranstaltungen teil.“ Gerade die Integration behinderter Menschen ist sehr wichtig, bestätigt Jurkschat. Im Alltag stehen Behinderte
oft im Abseits – eine vollständige Eingliederung geschieht selten. Matthias Klei ist von Geburt an Spastiker und hat neben seiner körperlichen Behinderung auch Sprachschwierigkeiten. Doch er hat seine Behinderung
akzeptiert und lebt mit mehr Lebensfreude als manch ein gesunder Mensch – nur so ist es zu erklären, dass Matthias auf seine Weise Extremsportler ist. Ob Segeltörn oder Tour mit dem Trike, alles wird ausprobiert.
Als besonders gesundheitsfördernd beschreibt Matthias für sich den Tauchsport, den er seit mehr als 3 Jahren ausübt – sogar ein offizielles Tauchzertifikat eines Behindertentauchverbandes hat Matthias. Dieses
besagt, dass er von zwei Personen unter Wasser begleitet werden muss. Der Aufwand ist groß – aber es lohnt sich. Durch die Schwerelosigkeit im Wasser entspannt sich sein Körper, mit zunehmender Tauchzeit lassen
die Verkrampfungen nach – und auch die Sprachkoordination fällt Matthias leichter. Mehrere Stunden hält dieser „Wohlfühlzustand“ an.
Doch kann man als Mensch mit Behinderung an einem derartigen
Seminar teilnehmen? Hier war selbst Christian Redl zunächst skeptisch und machte sich viele Gedanken über die Sicherung und Ausführung der Übungen. „Woran erkennt der Partner bei Matthias, dass er auftauchen
soll?“ Diese Angst etwas nicht zu erkennen oder nicht zu wissen, wie man richtig reagiert ist die größte Hemmschwelle mit behinderten Menschen zu arbeiten, weiß Thomas Jurkschat aus eigener Erfahrung.
Es ist
ein ständiges Ausprobieren, welches aber schnell in einem blinden Verständnis endet.
Eins war jedoch den Organisatoren klar: Natürlich kann Matthias niemals eigenständig Strecken- oder Tieftauchen. Anders ist es
jedoch beim Zeittauchen. Im Gegensatz zu den übrigen Kursteilnehmer hält sich Matthias während der gesamten Zeittauchphase am Beckenrand oder am Tauchpartner fest. Dadurch hat er Kontrolle und kann sich aus eigener
Kraft aufrichten. Die Sicherung erfolgt aber genau wie bei allen anderen – vereinbarte Zeichen werden zur Prüfung des Bewusstseinszustands abgefragt und erwidert.
Doch woran liegt nun der Nutzen für Menschen
mit Behinderung? Eines wurde eingangs schon erwähnt – Integration in eine aktive Tauchergruppe. Raus aus der Isolation des Alltags, in der sich viele Behinderte befinden. Doch Matthias hat weitere Erwartungen.
„Ich will mehr über meinen Körper herausfinden.“ Durch richtige Atmung besser mit alltäglichen Stresssituation umzugehen, ist ein weiterer Aspekt, der erlernt werden möchte. Vor allem aber beeindruckt Matthias die
Selbstdisziplin, die er entwickelt beim herauszögern des Atemreizes. Trotz Atemreiz weiter die Luft anzuhalten ist eine Erfahrung, die er gerne mit anderen behinderten Menschen teilen möchte. „Ich kann jeden nur
ermutigen, an einem solchen Kurs teilzunehmen. Man lernt sich selbst auf eine neue Art und Weise kennen!“ Die Voraussetzungen sind für alle gleich: Zunächst muss das richtige Atmen wieder erlernt werden. Und die
Erfolge zeigen sich vor allem beim Zeittauchen. „Eine Leistungssteigerung von 80-100% ist nicht schwer zu erreichen“, weiß Christian Redl nach zahlreichen Kursen. Auch Matthias Klei verbesserte seine Apnoezeit um
fast das Doppelte.
Ungeachtet von der Entwicklung neuer Fertigkeiten und Fähigkeiten gibt es auch zahlreich positive physiologische Faktoren, die für die Lerninhalte eines Freitauchseminars sprechen:
Durch
die Praxisübungen im Wasser wird eine Schwerelosigkeit des Körpers erzielt, die viele Menschen mit Behinderung in dieser Form bei anderen sportlichen Betätigungen nie spüren werden. Muskeltraining und Schulung der
motorischen Koordination in einem Medium, welches den Bandapparat und das Knochengerüst entlastet, sind weitere positive Effekte. Darüber hinaus wird durch die Atemübungen, wie Bauch- oder Vollatmung, Einfluss auf die
Lungenfunktion genommen, was – langfristig gesehen – zu einer Reduzierung von broncho-pulmonaren Infekten führen kann.
Und noch einen weiterer Vorteil ist abschließend zu nennen: Freitauchen ist eine
besondere Herausforderung, bei der das Selbstbewusstsein des Teilnehmers ungemein gestärkt wird. Menschen mit Behinderung können die Fähigkeiten des eigenen Körpers wiederentdecken – vermeintliche Grenzen können
erfolgreich überschritten werden.
Fazit des Seminars: Für alle war es eine sehr positive Erfahrung, mit neuen Eindrücken, die aber eindrucksvoll belegen, dass jedermann von derartigen Seminarangeboten auf seine
eigene Art und Weise profitieren kann.
Weitere Infos unter
www.aquatica-scuba.de
www.christianredl.com