by Sabine Kalk, übernommen aus Taucherwelt 4.01
Bei allen Jugendlichen dieses Pilotprojekts wurde, teilweise in frühester Kindheit, eine Krankheit diagnostiziert, die einen massiven Einschnitt in ihr
zukünftiges Leben zur Folge hatte - Krebs. Es ist kaum zu erahnen, welches Martyrium mit unzähligen Operationen und Chemotherapien die Kids hinter sich haben. Der Krebs ist besiegt, ihre Gesichter verraten jedoch, dass
sie noch immer unter den Folgen leiden.
Schließlich wurden diese Jugendlichen in einem wichtigen Lebensabschnitt aus dem familiären Umfeld herausgerissen und mussten lernen, mit der Angst zu leben. Der
Sieg über die Krankheit bedeutet einen fast unvorstellbaren Erfolg, ein zweites Leben, doch, wie uns die Jugendlichen selber sagen, ist der Schritt zurück in ein normales Leben eine fast noch größere
Hürde.
Niemand traut diesen jugendlichen etwas zu. Sie werden behandelt wie ein rohes Ei. Das Selbstvertrauen ist ohnehin schon angegriffen. Die zusätzlichen körperlichen Handicaps, die die Krankheit verursachte,
haben manche in den Glauben versetzt, ein Krüppel zu sein. Bei vielen folgte zudem die Flucht in die Isolation. Hut ab vor diesen Jugendlichen, die gesagt haben, es müsse einen Weg geben, sich und anderen zu beweisen,
dass „man wieder da ist“. Und Hut ab vor den Organisatoren und Ausbildern, die gewagt haben, ein unerforschtes Gebiet in der Tauchsportmedizin zu betreten.
Tauchen bedeutet, Verantwortung für sich und
andere zu tragen. Tauchen heißt aber auch, eine wunderbare fremde Welt zu entdecken, in der plötzlich die alltäglichen Sorgen und Probleme an Bedeutung verlieren. Da es keinerlei empirische Erkenntnisse in der
Tauchmedizin über die Krankheit Krebs gibt, war es schwierig, Ärzte zu finden, die diese Betroffenen tauchtauglich schreiben. Von Seiten der Tauchverbände und Tauchlehrer war es infolgedessen auch nicht möglich, die
Verantwortung für die Ausbildung der Jugendlichen zu übernehmen.
Nach langer Überlegung entschloss sich der Verband
IRTDA unter Course Director Branko Gaspar, die Initiative zu ergreifen. In etlichen Gesprächen mit führenden Tauchmedizinern sowie den Präsidenten einiger Handicaped -Tauchverbände bekam man sehr
widersprüchliche Aussagen, die aber insgesamt den Eindruck hinterließen, man sollte doch besser die Finger von diesem Projekt lassen
Unermüdliches Engagement
Es gibt nun einmal keine Studien, die belegen,
welche Auswirkungen der Tauchsport auf Menschen hat, deren Gewebe durch Krebs geschädigt ist. Man konnte allerdings auch keine konkreten Gründe gegen einen solchen Versuch bringen. Somit überließ man die endgültige
Entscheidung Branko Gaspar und Noemi Muthen, Kinderkrankenschwester der onkologischen Abteilung der Uniklinik Köln. Nach dem Motto: „Und wir schaffen es doch!“ gingen alle Beteiligten mit enormem Engagement und
Zielstrebigkeit an die Arbeit. Man machte sich auf die Suche nach einem Druckkammermediziner, der die Jugendlichen zumindest auf ihre Tauchtauglichkeit hin untersucht. Parallel dazu wurde mit den jeweils behandelnden
Onkologen Kontakt aufgenommen, die anders reagierten, als man es eigentlich schon fast erwartet hatte. Nachdem sie über die psychologischen Prozesse und Risiken beim Tauchen sowie über das Ausbildungskonzept aufgeklärt
worden waren, sahen sie eine Chance für ihre Patienten und sagten: Tut es! Dennoch wurden die Jugendlichen, wie natürlich auch die Eltern, nochmals darüber aufgeklärt, dass sie sich in eigener Verantwortung dieser großen
Herausforderung stellen müssen.
„Tauchlehrlinge“
Nach unzähligen Untersuchungen und dem Aufbau einer entsprechenden Logistik war es dann endlich soweit. An der kroatischen Adria fand die erste Ausbildung
zum OpenWater - Diver nach den internationalen Richtlinien des IRTDA statt. Dabei wurden jedoch die Ansprüche an die „Tauchlehrlinge“ in keiner Weise heruntergeschraubt. Sie mussten allerdings auf den jeweiligen
Einzelfall angepasst werden. Im allgemeinen wurde während der Ausbildung vor allem auf ungewöhnliche Reaktionen der Schüler geachtet. Besonderes Augenmerk galt dabei der psychischen Stabilität sowie besonderen Anzeichen von
körperlicher Schwäche, die nicht immer zu sehen war.
Eine Teilnehmerin saß seit acht Jahren im Rollstuhl, da ihr Knochengewebe von den starken Medikamenten angegriffen worden war. Einige Operationen stehen ihr noch
bevor, bei denen ihr neue Hüft- und Fußgelenke eingesetzt werden. Eine weitere Teilnehmerin hatte nach einer Gehirntumor - Operation starke Gleichgewichtsstörungen. Nachdem sie zunächst mit zwei Ausbildern ihr
Gleichgewichtsorgan im fremden Medium Wasser kennen lernen musste, stellte sie im Laufe des Kurses fest, dass ihr die Schwerelosigkeit unter Wasser sogar half, sich für eine kurze Zeit von den Schmerzen an Land zu
befreien.
Ein Schüler konnte nach seiner Krankheit den rechten Arm nicht anwinkeln und musste während des Kurses lernen, alle Übungen mit einem Arm durchzuführen, um trotzdem seine eigene Sicherheit unter Wasser
gewährleisten zu können. Zwei Jugendliche, die vom behandelnden Taucherarzt im Vorfeld nicht tauchtauglich geschrieben werden konnten, nahmen trotzdem am ausführlichen theoretischen Unterricht teil. Als klei nes
Trostpflaster konnten sie einen speziellen, auf sie abgestimmten Schnorchelkurs absolvieren.
Teamgeist
Ein schöner Nebeneffekt trat zudem ein: Während der
Ausbildung entstanden Freundschaften, und es entwickelte sich ein enormer Teamgeist. Das Ausbilderteam achtete bei seiner Arbeit von Anfang an besonders darauf, dass ein erfolgreiches Bestehen der OpenWater – Diver -
Ausbildung allein von der Eigeninitiative der Teilnehmer abhängig ist. Ein jeder musste lernen, Verantwortung zu tragen, ein neues Selbstbewusstsein zu entwickeln — und sie taten es. Alle Teilnehmer bestanden sowohl
die praktische als auch die theoretische Prüfung. Nach diesem Erfolg waren sich alle Beteiligten einig: Dieses Projekt muss weitergehen! Mittlerweile haben sich Mitglieder des Betreuer- und Ausbilderteams nicht nur zu einer
Gruppe zusammengeschlossen, man hat einen Verein gegründet. Er nennt sich:
T.A.T. e. V., Tauchen als Therapie
Über
die erste Aktion wurde eine Filmdokumentation erstellt, die den Spendern, die die Umsetzung des Projektes erst möglich gemacht haben, vorgestellt wurde. Neben der Arbeit mit krebskranken Jugendlichen engagiert sich T.A.T.
nunmehr auch für Jugendliche, die mit sich oder der Gesellschaft in Konflikt geraten sind. Der Tauchverband IRTDA, der dieses erstmalige Projekt zum Erfolg geführt hat, arbeitet ab sofort für T.A.T., um weiteren
Jugendlichen zu helfen.
T.A.T. sucht natürlich Tauchlehrer und Tauchschulen, die Interesse an der Handicap-Ausbildung und der Verbreitung dieser Idee haben. Die Koordination und Verwaltung neuer Aktionen steht unter
der Obhut der gemeinnützigen Arbeit der Mitglieder von T.A.T. Der Verein ist natürlich auch weiterhin auf die finanzielle Unterstützung von Spendern angewiesen, um noch vielen Eltern und Jugendlichen die Tür in ein neues
Leben öffnen zu können.
Infos: Sabine Kalk, eMail