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Walbeobachtung vor Samaná

by Dr. Bernd Peyer 2.01

"Wal bei 3 Uhr voraus!" Alle Augen wandern nach Steuerbord und suchen den Horizont nach Anhaltspunkten ab, die üblicherweise die Anwesenheit eines der sanften Riesen von Samaná verraten. "Da bläst er wieder!" Dieses Mal sieht es jeder. Zwei oder drei Atemwolken, dünnen Rauchfahnen ähnlich, steigen in einiger Entfernung hoch. Unser Skipper hält darauf zu. Dann drosselt er die Maschine, damit das Schiff fast geräuschlos über die Samanábucht gleiten kann. Urplötzlich tauchen zwei glänzend schwarze Körper Seite an Seite aus der Tiefe auf, scheinen in den blauen Himmel hineinzuwachsen, krachen gegeneinander und sinken in ihr Element zurück, eine Detonation weiß schäumender Gischt verursachend. Das Schauspiel dauert nur wenige Sekunden, und mir ist, als habe ich die Geburt und den Untergang einer vulkanischen Insel erlebt. "Das waren Mitglieder einer Junggesellengruppe", erläutert unsere Walexpertin an Bord. "Offenbar zwei Bullen, die um die Gunst einer Gefährtin kämpfen."

Jetzt überholen uns auch die übrigen Angehörigen der Herde. Ihre leicht gewinkelten, narbigen Buckel beschreiben einen Bogen über der folienglatten See, die ähnlich geformten grünen Hügel der Halbinsel dahinter für einen Augenblick zur Bedeutungslosigkeit verurteilend, um dann wieder zu versinken - alles in einer fließenden Bewegung. Hier und da kondensiert die von den Tieren ausgeatmete Luft zu einer zwei Meter hohen Fontäne aus Wasserdampf. Dieser "Blast" gleicht weißen Nebelschleiern, die der Wind in unsere Gesichter weht. Wenn die riesigen Meeressäuger abtauchen, bleibt nichts weiter zurück als ein kreisrunder, schaumgekrönter Strudel, der nach und  nach zur Ruhe kommt.

Scheinbar haben wir genau den richtigen Tag zur Walbeobachtung vor Samaná gewählt, einen Tag mit sanfter Dünung und wolkenlosem Himmel. Auf dem Weg von der kleinen, abgelegenen Pier hierher gibt uns die meeresbiologisch kundige Leiterin des Bootsausflugs Informationen zur Lebensweise der Buckelwale und erzählt stolz, dass die meisten der nordatlantischen Vertreter dieser Art (Megáptera novaeangliae) echte "Dominicanos" sind. Etwa 85 Prozent des im Nordatlantik lebenden Buckelwalbestandes (ca. 10.000 Exemplare), die man hier "ballenas jorobadas" nennt, verbringen die Wintermonate zwischen Mitte Januar und Mitte März nach einer langen Wanderung von Island und Grönland via Neu-England in den warmen karibischen Gewässern. Zu ihren bevorzugten Paarungs- und Wurfplätzen vor Ort gehören die unzugänglichen Silberbänke (Banco de la Plata), eine langgezogene Untiefe etwa 150 Kilometer nordöstlich von Puerto Plata und die Samanábucht, der größte geschützte Naturhafen der Karibik.

"Hier geht es ungefähr so zu wie auf einem Ball der einsamen Herzen, wo jedermann scharf auf eine Verabredung ist", kommentiert die Leiterin. Und die normalerweise verträglichen Leviathane geraten derart außer Rand und Band, wenn sie um Geschlechtspartner konkurrieren, dass sie sich zwischen andere "Paare" drängeln und tollkühne Sprünge vollführen, wobei sie gelegentlich gut zwei Drittel ihrer massigen Körper über die Wasseroberfläche wuchten.

Unser Walbeobachtungsschiff passiert Cayo Levantado, fälschlicherweise bekannt als die "Bacardi Insel", und steuert auf den Eingang der Bucht zu. Es dauert nicht lange, und jemand sichtet wieder einen "Blast", dieses Mal an Backbord. Etwas, das aussieht wie ein übergroßes, mit dem Wind treibendes Blatt, entpuppt sich als Brustflosse eines verspielten Buckelwalkälbchens, das unter den wachsamen Augen seiner Mutter im Wasser planscht. Nach einer Tragzeit von etwa 10 Monaten werden die "kleinen" Kerle fast 5 Meter lang geboren. Die Mutter stillt sie 5 Monate mit unglaublichen Mengen (bis zu 190 Liter täglich) nährstoffreicher, 35 Prozent fetter Milch (Kuhmilch zum Vergleich enthält nur 3,5 Prozent Fett), was erklärt, warum Wale die am schnellsten wachsenden Säugetiere sind. Pro Tag legen sie nicht weniger als 100 Kilo Gewicht zu (4,5 Kilo die Stunde), eine stramme Tonne in 9 Tagen! Ausgewachsen erreichen Buckelwale 8 bis 15 Meter Länge und wiegen rund 30 Tonnen. Da das Muttertier während des gesamten Aufenthaltes in der Samanábucht keine Nahrung zu sich nimmt, verliert sie wiederum deutlich an Gewicht. Sobald die Mutter abstillt, ernähren sich die Jungen auf dem Weg zurück in den weiten Norden wie ihre Eltern von Krill und kleinen Fischen (hauptsächlich Lodden), die sie durch ihren mächtigen, beiderseits mit 400 faserigen Barten besetzten Kiefer filtern.

Ungeachtet der zerbrechlichen Kreaturen, die sich an Bord des Schiffes ihre dürren Hälse verrenken und mit seltsamen Geräten ein merkwürdiges Klickkonzert veranstalten, das ganz anders als die geheimnisvollen Gesänge ihrer eigenen Art klingt, schubst die Wahlkuh ihren Sprößling vorwärts in Richtung offene See. Erst nachdem beide meinem Blick entschwunden sind, kommt mir zu Bewusstsein, dass ich vergessen habe, den Auslöser meiner eigenen Kamera zu betätigen.

Als unser Schiff wieder seinem Heimathafen zustrebt und sich die meisten Passagiere sonnenbadend an Deck ausstrecken, sitze ich noch immer gebannt an der Bugspitze, die Augen auf das Wasser geheftet. Irgendwie ahne ich, dass noch etwas geschehen wird - ich muß nur warten.

Tatsächlich: Wir befinden uns etwa auf der Höhe von Cayo Levantado, da schiebt sich steuerbords, keine 50 Meter von der Stelle entfernt, wo meine Beine über das Deck baumeln, der gewölbte Rücken eines alten Einzelgängers aus der spiegelnden See. Der Wal buckelt und präsentiert, gerade als ich denke, es sei alles vorüber, wie zum Abschied winkend seine kolossale Fluke mit dem einprägsamen Schwarzweißmuster - einen Wimpernschlag lang wie eingefroren vor der Himmelskulisse. Individuell das Muster, das persönliche Markenzeichen eines jeden Buckelwals, das unverwechselbar wie ein Fingerabdruck ist. Ich will soeben auf den Auslöser drücken, da überfällt mich plötzlich eine beunruhigende Vision.

Ein Mann (bin ich es?) steht am Bug eines Schiffes, doch in den Händen hält er statt eines Fotoapparates eine Harpune aus schimmerndem Stahl. Als ich wieder durch den Sucher blicke, ist die Bucht leer.

Später am Nachmittag, ich trinke gerade eine Tasse Kaffee in einem der Restaurants auf dem Malecón, werde ich Zeuge einer angeregten Diskussion unter ein paar jungen Meeresbiologen, die ich zuvor schon auf dem Walbeobachtungsschiff bemerkt hatte. Einer fragt zweifelnd in die Runde, ob derartige Unternehmungen den bedrohten Tieren nicht schadeten. Er verweist darauf, dass der Rummel, den die "whale watchers" im Alenuihaha-Meeresarm zwischen Maui und Hawaii veranstalten, den Rückgang der dortigen nordpazifischen Bestände nach sich gezogen habe. Wie er meint, verursachen solche Störungen gewiß Verhaltensirritationen, insbesondere während der lebenswichtigen Paarungszeit.

Einer seiner Kollegen stimmt grundsätzlich zu, doch glaube er nicht, dass Verbote das Problem lösen können. Einen Wal in seinem Element bewundern zu können sei, so argumentiert er, ein solch bewegendes Erlebnis, welches nicht allein dem Walschutz

Sympathien eintrage, sondern allgemein den Naturschutzgedanken festige.

"Walparties" sollen von ausgebildeten Führern geleitet werden und unter der Kontrolle geeigneter Institutionen stattfinden. Außerdem könne er sich Walbeobachtungsfahrten durchaus als kommerzielle Alternative zur Waljagd vorstellen. Eine heikle Frage! Walbeobachtungen werden in der Samanábucht noch nicht sehr lange fachmännisch durchgeführt, die einheimischen Besitzer von Motorbooten jedoch haben die Chance, daraus Gewinne zu ziehen, rasch erkannt. Wird es gelingen, ihnen beizubringen, dass nur organisierten Fahrten auf größeren Schiffen, womöglich unter ausländischer Leitung, die wirtschaftliche Ausschöpfung dieser Touristenattraktion erlaubt sein soll? Eine Kontrolle der "wilden" Walbeobachtung dürfte nur klappen, wenn man die vielen Fischer aus Samaná, die

übrigens stolz darauf sind, keine Waljagd-Tradition zu pflegen, auf irgendeine Weise in das Konzept einbindet.

Genau das ist eines der Ziele des Centro para la Conservación y Ecodesarrollo de la Bahia de Samaná y su Entorno, Inc. (CEBSE), einer lokalen Organisation, die aktiv für die Erhaltung und ökologisch verträgliche Nutzung des natürlichen Reichtums in Samaná und Umgebung eintritt. Mit ihrer Hilfe wurden von der Regierung folgende Regeln für die Walbeobachtung aufgestellt: Walbeobachtungsfahrten können nur mit einer Genehmigung der Dirección Nacional de Parques (staatliche Leitungsstelle der Naturparks) stattfinden. Nur jeweils ein großes (über 9 Meter) und zwei kleinere (weniger als 9 Meter) Boote dürfen sich einem Wal oder einer Walgruppe zur

gleichen Zeit nähern. Ein Mindestabstand von 80 Metern muss zu den Tieren eingehalten werden, während wartende Schiffe sich in 500 Meter Entfernung aufhalten. Sobald die vorgeschriebene Entfernung erreicht ist, soll das Schiff im Leerlauf driften (Motor darf nicht ausgeschaltet werden). Die maximale Dauer der Beobachtung einzelner Tiere oder Gruppen darf nicht 30 Minuten überschreiten, und die erlaubte Höchstgeschwindigkeit im Gebiet jenseits der Insel Cayo Levantado beträgt 5 Knoten. Schließlich ist es jedem Passagier strengstens verboten, in der Nähe von Walen zu schwimmen oder zu tauchen. Letzteres ist sicherlich nicht nur zum Schutz der liebestollen 30ig-Tonner gedacht!

Eines ist ganz sicher: Die Zahl der Urlauber, die Buckelwale sehen wollen, wird zunehmen. Als ich den Blick über die vielen in der Bucht von Samaná ankernden Motorboote und Segelyachten schweifen lasse, frage ich mich, wie groß der Unterschied zwischen dem Mann mit der Kamera dem Harpunier wirklich ist.

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