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by Bernd C. Peyer, Horst Wiendl (Grafik/Fotos) 1.00

Dort, wo sich der dunkle Schatten abzeichnete, schimmerte es metallisch. Als ich mich darauf zubewegte, ganz behutsam, um den feinen Sand nicht aufzuwirbeln, schoss das glänzende Etwas urplötzlich auf mich zu. Der helle Schein meiner Lampe traf einen stattlichen Diadem-Kaiserfisch, ließ sein prunkvolles Schuppenornat in allen Farben des Regenbogens erstrahlen. Vom Licht geblendet prallte das Tier fast gegen meine Tauchermaske, schwenkte im letzten Moment aber nach Backbord und verschwand in einem anderen dunklen Winkel des Wracks, einem juwelenbesetzten Medaillon gleich, das den Gesetzen der Schwerkraft trotzte.

Wir befanden uns in der karibischen See vor der Dominikanischen Republik, etwa 20 m tief unter der Wasseroberfläche. Hier, unmittelbar vor der kleinen Bucht von La Caleta, nahe der
Hauptstadt Santo Domingo, ruhte der stählerne Rumpf der “Hickory”, eines ca. 40 m langen und 8 m breiten Eisenschiffs, das man 1984 an Ort und Stelle versenkt hatte, um Tauchsportlern ein künstliches Riff zu bieten. Zwei Jahre später wurde dieser Küstenstreifen zum “Parque Nacional Submarino La Caleta” (Unterwasser-Nationalpark La Caleta) deklariert. Seither erfreut sich das Wrack tatsächlich häufiger Besuche von Tauchfreunden mit Ferienwohnsitz in Boca Chica oder Juan Dolio. Ein paar Tage zuvor las ich Berichte über die “Hickory”, und Chamón, unser Tauchguide, steuerte in der knappen Stunde, die man mit dem kleinen Motorboot braucht, um von Boca Chica hierher zu gelangen, weitere Details bei.

Die “Hickory” war früher ein umgerüstetes Bergungsschiff, das ursprünglich der “Caribe Salvage Company” gehörte. Mitte der 70er Jahre brachte es der Amerikaner Tracy Bowden in dominikanische Gewässer. Damals erhielt das Schiff einen Wirbeldeflektor am Heck, der die von der Schraube erzeugten Turbulenzen zum Meeresgrund ableitete, umso größere Mengen Sand abzutragen, ein Sauggerät für die Feinarbeit und einen Kran, der zum Hochhieven schwerer Gegenstände diente. Vorhanden waren auch ein Kompressor, zwölf Taucherausrüstungen und eine mobile Rekompressionskammer. Die Besatzung der “Hickory” bestand nämlich aus erprobten Schatzsuchern.

Seit Generationen erzählen sich die Fischer Hispaniolas von Plätzen, wo einst spanische und französische Galeonen sanken. Gelegentlich brachten sie eine Handvoll Münzen oder andere Beweise aus den geborstenen Schiffsleibern nach oben. Später entdeckten Urlauber, die zum Spaß tauchten, Wracks in der Samaná-Bucht im Nordosten der Insel und vor Sabana de Palenque im Süden. Sie fanden einige Kanonen und eine ganze Reihe weiterer Dinge, die den Geschichten um gescheiterte Handelsschiffe und versunkene Schätze neue Nahrung gaben. Doch erst 1976, als Tracy Bowden, unterstützt vom Museo de las Casas Reales, mit der dominikanischen Regierung einen entsprechenden Vertrag abschloss, konnten professionelle Bergungsversuche unternommen werden.

Man weiß, dass vor der Küste Hispaniolas unzählige Wracks aus dem 16. Jahrhundert und späteren Epochen auf Grund liegen, die meisten aber gilt es noch zu lokalisieren. Verheerende Stürme während der Orkansaison von Juli bis Oktober, auf keiner Karte verzeichnete Untiefen, Seeschlachten oder Piratenüberfälle bereiteten so manchem Schiff, das in den Hafen Santo Domingos einlaufen wollte oder ihn verließ, ein nasses Grab. Im Laufe der Zeit zerstreute die Dünung des Ozeans ihre Überreste, Korallen siedelten sich darauf an, oder sie wurden von Sand zugedeckt. Ein unkundiger Taucher würde nichts von dem Wrack und seiner die Fantasie beflügelnden Ladung bemerken, selbst wenn er sich nur wenige Zentimeter überihm befände.

Zwischen 1976 und 1978 entdeckte und barg Bowdens Mannschaft, die über modernste Ortungsgeräte verfügte, drei alte Wracks in der Samaná-Bucht. Die Männer förderten in der Tat Schätze zu Tage, unbezahlbar nicht allein wegen ihres Geldwertes, sondern auch vor allem hinsichtlich der zeitgeschichtlichen Informationen, die sie preisgaben. Man identifizierte die Schiffe als “Nuestra Señora de Guadalupe” und “Conde de Tolosa”, zwei spanische Galeonen, die am 24. August 1724 im Sturm vor dem heutigen Strand von Miches im Nordosten der Insel sanken, und als “Scipión”, ein französisches Kriegsschiff, das 1782 Opfer einer Seeschlacht mit Engländern wurde. Die spanischen Galeonen waren hauptsächlich mit Quecksilber beladen, das zur Gewinnung von Gold auf dem Festland dringend benötigt wurde. Glücklicherweise konnten sich fast alle Passagiere an die nahe gelegene Küste retten. Ebenso untersuchte die Crew der “Hickory”, was von der “Imperiale” und der “Dioméde”, französischen Schiffen, am 8. Februar 1806 von den Briten vor der Palenque-Bucht im Süden der Insel versenkt, noch übrig war. Die Seeschlacht von Palenque kostete mehr als 1.500 Franzosen das Leben.1978 hob schließlich der Amerikaner Burt Webber, dem es im Jahr zuvor gelang, das Wrack der “Nuestra Señora de la Concepción” im Bereich der Silberbank ca. 140 km vor der Nordküste ausfindig zu machen, einen weiteren Schatz, seit 1641 im Bauch der Galeone verborgen. In jedem der erwähnten Schiffe stieß man auf große Mengen Keramik und Gläser, nautische Instrumente, persönliche Utensilien, Medaillen, Geschmeide sowie eine Flut von Silber- und Goldmünzen und einige kostbare Juwelen.

Wir inspizierten das Wrack der “Hickory” vom Bug bis zum Heck und schlossen dabei Bekanntschaft mit vielen Meeresbewohnern. Zwei riesige Meerspinnen (hier zu Lande centoyas genannt) hatten eine der finstersten Ecken als Domizil gewählt und nahmen den Umstand, dass wir uns in ihre Domäne vorwagten, ziemlich gelassen hin. Gemeine Husaren, mehrere Arten Papageifische, einige Grüne Muränen, jede Menge Atlantik-Trompetenfische und ungezählte weitere Untertanen Neptuns schätzten die Zuflucht unter dem rostigen Baldachin. Ein besonderes Erlebnis war die Begegnung mit einem fülligen Augenfleck-Anglerfisch, den Chamón am Meeresgrund außerhalb des Wracks erspähte (kein leichtes Unterfangen, da die Tarnung des Tieres nahezu perfekt ist), an einer Stelle, wo Trichterschwämme und niedrige Fächerkorallen (Gorgonarien) den Boden bedeckten. Unmengen Sandtaucher-Eidechsenfische hockten im weißen Sand. Sie stützten sich auf ihre Brustflossen wie Menschen auf ihre Ellbogen und begafften uns mit verhaltener Neugier.

Etwa 20 oder 30 m vom Wrack entfernt schwammen wir zu einer Kanone und einem Anker, beides aus dem 17. Jahrhundert, die von der “Hickory”-Crew hier versenkt worden waren - handgreifliche Beweisstücke der Wahrheit hinter all den Legenden über versunkene Schätze vor den Küsten Hispaniolas. Oder erinnerte uns hier ein Memento mori an die Vergänglichkeit alles Lebendigen? Wie auch immer, mein Tauchcomputer zeigte an, dass meine Grundzeit fast abgelaufen war. Als wir 5 m unter der Oberfläche einen Sicherheitsstopp einlegten, leistete ein Großer Barrakuda meinen Tauchpartnern und mir Gesellschaft. Auf der Heimfahrt nach Juan Dolio tauschten wir Geschichten über die Lage möglicher Schatzhorte aus, fabulierten von goldgefüllten Truhen in Unterwasserhöhlen und von spanischen Dublonen, die ein Sturm ans Ufer gespühlt hatte ...

Ein paar Tage darauf wanderte ich durch die Ausstellungsräume des Museo Naval de Arqueología Submarina (Seefahrtsmuseum für Unterwasser-Archäologie) in La Ataranza, in ein Gebäude aus der Kolonialzeit, das der Duarte-Familie als Warenlager diente. Das Museum, das sich nun im etwas bombastischen Kolumbus-Leuchtturm befindet, ist zum Zeitpunkt meines Aufenthaltes noch nicht der Öffentlichkeit zugänglich gewesen, es waren aber bereits viele Exponate, Objekte, die man in der “Guadalupe”, der “Tolosa”, dem “Scipión” und der “Concepción” fand, zu sehen, zusammen mit einer Dokumentation der Bergungsfahrten. Fotos zeigten die “Hickory” im Einsatz. Und während ich das hinter dickem Vitrinenglas gesicherte Geschmeide bewunderte, schoss mir durch den Kopf, dass auch das Wrack der “Hickory” märchenhaft schöne Schätze bewahrt. Noch vor 20 Jahren, erinnerte ich mich, tummelten sich allenthalben an den Riffen zwischen Santo Domingo und Juan Dolio ungeheure Mengen tropischer Fische. Heute sind viele Gewässer im Südosten (aber auch im Nordosten), wo ich tauchte oder schnorchelte, verwaist. Sogar die Karibische Riesenflügelschnecke (Strombus gigas), früher weit verbreitet und ein wichtiges Nahrungsmittel der Fischer, wird zur Rarität. In die Winkel und Nischen der auf Grund gesetzten “Hickory” ist das Leben jedoch zurückgekehrt, fügt sich zu Bausteinen eines künftigen Riffs zusammen. Hinter den schwimmenden Edelsteinen, die hier einmal zu Gast sein werden, verblassen alle von Menschenhand geschaffenen Schätze, die je das Auge eines Sterblichen erfreuten.

Literatur: Pedro J. Borrell B., Arqueología Submarina en la Republica Dominicana (Santo Domingo: Museo de Las Casas Reales, 1983).

Dr. Bernd C. Peyer ist habilitierter Amerikanist, Lehrbeauftragter an der Johann Wolfgang Goethe-Üniversität, Autor und seit 1987 aktiver Tauchlehrer. Publikationen: u.a. Indianische Kunst Nordamerikas, Köln: Dumont Buchverlag (Mit Peter Bolz); Hildebrand's Urlaubsführer: Dominikanische Republik , Frankfurt: Karto + Grafik Verlag, 1991 (Fünfte Auflage 1995)